Green Legal Lab 2024
Am 13. September sind wir in unser inzwischen viertes Green Legal Lab gestartet! Bei der Auftaktveranstaltung im Umwelt-Bildungszentrum in Gatow hatten die Teilnehmer*innen Gelegenheit, einander kennenzulernen und einen ersten Eindruck der diesjährigen Aufgabenstellungen zu gewinnen. In vier Arbeitsgruppen, die jeweils von einem Verband und einer Anwältin oder einem Anwalt begleitet werden, bearbeiten sie umweltrechtliche Fragestellungen. Das Ziel ist, Ansätze für juristische Interventionen zu entwickeln, die im Idealfall über den Einzelfall hinaus reichen. So bearbeitet beispielsweise eine Arbeitsgruppe einen Fall, bei dem es um die Verschmutzung eines Flusses geht, aber die Fragestellung und die entwickelten Ergebnisse sind übertragbar auf andere Flüsse und Gewässer in Deutschland.
Neben intensivem Austausch und einer Menge fachlichem Input zu den größtenteils ziemlich komplexen Fragestellungen blieb aber auch noch genug Zeit für Unbeschwerteres – Spiele, Plaudern, Sonne genießen im Garten, sehr leckeres veganes Essen oder einen morgendlichen Lauf entlang der Havel.
Wir freuen uns sehr darüber, auch in diesem Jahr wieder eine hochmotivierte Gruppe von Nachwuchsjurist*innen im Lab begleiten zu dürfen und sind schon sehr gespannt auf die Ergebnisse der vier Arbeitsgruppen.
Hintergrund
Das Green Legal Lab ist eine mehrwöchige praxisnahe Weiterbildung, die junge Jurist*innen mit erfahrenen Umweltanwält*innen und Vertreter*innen von Umweltverbänden zusammenführt. Gemeinsam entwickeln sie neue juristische Strategien. Die Teilnehmenden erweitern dabei ihre Kenntnisse im Umweltrecht und lernen die Grundlagen der strategischen Prozessführung. In Arbeitsgruppen entwickeln sie Lösungen für juristische Umweltprobleme, die von den beteiligten Umweltverbänden umgesetzt werden können.
Das Green Legal Lab 2024 wird gefördert von der Stiftung GEKKO und der Stiftung Mercator.
Höchste Zeit für effektiven rechtlichen Biodiversitätsschutz
Zur Bedeutung der EU-Wiederherstellungsverordnung (Nature Restoration Law)
In Brüssel wird zurzeit über den Entwurf für eine neue Naturschutzverordnung verhandelt: Die EU-Wiederherstellungsverordnung (Nature Restoration Law) ist Teil einer ganzen Reihe von Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene unter dem Schirm des Green Deals. Der Vorschlag sieht konkrete flächenbezogene Wiederherstellungsziele für degradierte Ökosysteme in Europa vor. Das ist auch dringend erforderlich, denn um Europas Natur – und die Biodiversität weltweit – ist es schlecht bestellt.
Eine Krise kommt selten allein, aber die Biodiversitätskrise findet noch zu wenig Beachtung
Es ist 2023 und wir leben nicht in einer, sondern in zwei miteinander verbundenen und einander verstärkenden Krisen: Die Klimakrise, ausgelöst durch die Nutzung fossiler Energieträger und den Ausstoß von Treibhausgasen und die Biodiversitätskrise, bedingt durch eine nie dagewesene Zerstörung von Ökosystemen, Populationen und Arten. Beide Krisen sind menschengemacht. Der Raubbau an natürlichen Ressourcen und eine Nutzung von Land die alles andere als nachhaltig ist, haben sie ausgelöst. Beide Krisen sind komplex und werden durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt und verschärft. Biodiversitäts- und Klimakrise müssen gemeinsam betrachtet werden, denn sie haben das Potenzial, einander zu verstärken.
Biodiversität ist die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme (Artikel 2 der Biodiversitätskonvention).
Trotz langjähriger Bemühungen und einer Vielzahl von Absichtserklärungen verschlechtert sich der Zustand der Biodiversität weltweit und auch in Europa und in Deutschland kontinuierlich. Zwar konnten Erfolge bei der Erhaltung einzelner Arten und lokale Verbesserungen des Zustands verschiedener Umweltmedien und Ökosysteme erzielt werden. Insgesamt betrachtet ist die Situation jedoch sowohl im Hinblick auf den Rückgang der Biodiversität als auch auf das Erreichen oder die Überschreitung ökosystemarer Belastungsgrenzen dramatisch. Die zunehmend bemerkbaren Auswirkungen der Klimakrise stellen eine zusätzliche Belastung und einen erheblichen Unsicherheitsfaktor dar.
Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Biodiversität, Klimakrise und Landnutzung: Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise wirken sich bereits heute nachteilig auf die Landwirtschaft in Europa aus. Die Zunahme von Dürreperioden und Extremwetterereignissen belasten Landwirt*innen und führen zu höheren Lebensmittelpreisen. Die Auswirkungen industrieller Landwirtschaft wie überhöhter Pestizid- und Düngemitteleinsatz und die Zerstörung von landschaftlichen Strukturelementen wie Feldrainen oder Hecken führen zu einem Rückgang der Biodiversität und zerstören Lebensräume und Ökosysteme. Die Rückgänge bei Insekten und Feldvögeln sind dramatisch. Das ist nicht nur traurig, weil wir die fehlenden Vögel und Insekten vermissen: Es ist eine existenzielle Bedrohung. Denn Insekten, Vögel, Landwirt*innen und wir als Verbraucher*innen existieren nicht losgelöst voneinander und dem Rest der Natur in einem Vakuum. Wir sind alle eingebunden in ein komplexes Netz aus unterschiedlichsten ökologischen Beziehungen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ohne Insekten als Bestäuber sähe es im Supermarkt plötzlich extrem leer aus.
Weiterführende Informationen:
Globale Doppelkrise – Hintergründe und rechtliche Regelungen
Bisher mangelhafte Umsetzung rechtlicher Verpflichtungen zum Schutz der Biodiversität
Die EU und Deutschland sind völker- und europarechtliche Verpflichtungen zum Schutz von Natur und Umwelt eingegangen, die bislang nicht erfüllt werden. Diese Verpflichtungen müssen ebenso wie diejenigen aus dem Pariser Klimaschutzübereinkommen eingehalten werden. Eine herausragende Rolle spielt in diesen Zusammenhang die Biodiversitätskonvention (1992). Sie ist das Pendant zur Klimarahmenkonvention. Im Dezember 2022 einigten sich ihre Vertragsparteien im Rahmen der 15. Vertragsstaatenkonferenz auf das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, das ambitionierte Ziele für den Schutz der globalen Biodiversität enthält.
Wesentliche Instrumente des europarechtlichen Naturschutzes sind bisher die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und die Vogelschutz-Richtlinie (VS-RL). Sie schützen eine Vielzahl unterschiedlicher Tier- und Pflanzenarten (Anhänge II und IV der FFH-RL), Lebensraumtypen (Anhang I FFH-RL) und alle europäischen Vogelarten. Vorschriften zum Schutz von Arten und Lebensräumen gelten dabei nicht nur innerhalb der Schutzgebiete des Netzwerks Natura 2000, sondern auch in der Fläche. Bislang werden die Schutz-, Erhaltungs- und Verbesserungsziele der europäischen Naturschutzrichtlinien jedoch nicht erfüllt: 81 % der Lebensräume in Europa befinden sich nicht in einem guten Erhaltungszustand und viele geschützte Arten verzeichnen Populationsrückgänge. Selbst innerhalb von Schutzgebieten wirken sich vielfältige menschengemachte Belastungen negativ auf die Biodiversität aus – von naturschädigenden land- und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden über Infrastrukturprojekte bis hin zu übermäßiger Sport- und Freizeitnutzung. Hinzu kommt, dass viele Schutzgebiete klein sind und wie Inseln isoliert voneinander innerhalb intensiv genutzter Landschaften liegen. Das beeinträchtigt ihre Schutzgüter, weil mangels Konnektivität kein genetischer Austausch zwischen Populationen stattfinden kann und weil Tiere und Pflanzen nicht ungehindert wandern können. Gerade unter den Bedingungen der Klimakrise ist das jedoch essenziell, damit Tiere und Pflanzen auf veränderte Standortbedingungen reagieren können. Deswegen muss es auch außerhalb von Schutzgebieten Überlebenschancen, Habitate und geeignete Wanderrouten geben. Strukturelementen (z.B. Hecken) und extensiv genutzten Landschaftsbestandteilen kommt dabei eine wichtige Rolle als Rückzugsraum zu. Im Zuge der Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft wurden sie jedoch vielerorts entfernt, um große zusammenhängende Ackerflächen und Monokulturen zu schaffen. Außerdem wird heute zum Beispiel auf vielen entwässerten Moorflächen Landwirtschaft betrieben. Das ist auch unter dem Aspekt des Klimaschutzes problematisch, denn Moorböden haben ein sehr großes Potenzial als natürliche Kohlenstoffsenke – wenn sie nass sind.
Neben Nachbesserungsbedarf bei der Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien ergeben sich durch das Global Biodiversity Framework der Biodiversitätskonvention neue Ziele, die rechtlich zeitnah und aus wissenschaftlicher Sicht am besten gestern umgesetzt werden müssen. Unter anderem sollen sich bis 2030 jeweils 30 % der degradierten Land-, Binnengewässer-, Küsten- und Meeresökosysteme in einem effektiven Wiederherstellungsprozess befinden und 30 % aller Ökosysteme sollen effektiv geschützt und gemanagt werden. Ähnliche Ziele enthält auch die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 (Näheres dazu hier), zu deren Umsetzung die Wiederherstellungsverordnung beitragen soll. Besonders im Fokus der EU-Biodiversitätsstrategie stehen Ökosysteme, die nicht nur für den Schutz der Biodiversität große Bedeutung haben, sondern auch für den Klimaschutz. Dies sind kohlenstoffreiche Ökosysteme wie Torfmoore, Primär- und Urwälder, Grünland und Feuchtgebiete. Die Wiederherstellung solcher natürlicher Senken – zum Beispiel durch die Wiedervernässung von Mooren – kann gleichzeitig zur Erfüllung von Biodiversitätsschutz- und Klimaschutzzielen beitragen.
Dringend erforderliche Stärkung des rechtlichen Biodiversitätsschutzes durch die EU-Wiederherstellungsverordnung
Der Entwurf für die EU-Wiederherstellungsverordnung kombiniert ein übergeordnetes Ziel für die langfristige Wiederherstellung der Natur in den Land- und Meeresgebieten der EU mit verbindlichen Sanierungszielen für bestimmte Lebensräume und Arten. Diese Maßnahmen sollten bis 2030 mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU und schließlich bis 2050 alle wiederherstellungsbedürftigen Ökosysteme abdecken. In den Artikeln 4 bis 10 enthält die Verordnung für die Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben zur Wiederherstellung einzelner Ökosysteme wie Flüsse, landwirtschaftlich genutzte Ökosysteme oder Wälder. Gemäß Artikel 11 sollen die Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Öffentlichkeit nationale Wiederherstellungspläne aufstellen, in denen sie festhalten, mit welchen Maßnahmen sie die Ziele erreichen wollen. Diese werden dann von der EU-Kommission geprüft.
Trotz der Dringlichkeit der Biodiversitätskrise gibt es politische Widerstände und Widerstand verschiedener Lobbyinteressen gegen die Annahme der Wiederherstellungsverordnung. Zuletzt haben sich im Landwirtschafts- und im Fischereiausschuss des Europaparlaments eine Mehrheit der Abgeordneten gegen eine Annahme der Wiederherstellungsverordnung ausgesprochen. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Abstimmung im Umweltausschuss, die für den 15. Juni 2023 angesetzt ist.
Mitmachen
Unter dem Hashtag #RestoreNature machen über 200 europäische Umweltorganisationen auf die einmalige Chance aufmerksam, die die Verordnung für besseren Biodiversitätsschutz in Europa bietet. Weiterführende Informationen und die Möglichkeit, sich zu beteiligen finden Sie hier.
Ökozid: Umweltschutz durch Strafrecht?
Was ist Ökozid?
Ökozid beschreibt einen Straftatbestand, den es im deutschen Recht (noch) nicht gibt, der jedoch von verschiedenen Akteur*innen völkerrechtlich und auf EU-Ebene gefordert wird. Bei Ökozid geht es im Kern stets um massive Umweltzerstörung, beispielsweise durch Vergiftung von Umweltmedien wie Wasser oder Boden, die massenhafte Vernichtung von Flora und Fauna oder die Herbeiführung von Umweltkatastrophen.
Als Legaldefinition hat das Unabhängiges Expert*innengremium im Auftrag der Stop Ecocide Foundation 2021 vorgeschlagen: Ökozid beschreibt rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, die mit dem Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht werden.
Es gibt abweichende Definitionen in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, die Ökozid als Straftatbestand oder vergleichbare Straftatbestände festlegen.
Ökozid im Völkerrecht
Das Anliegen der Stop Ecocide Foundation und verschiedener anderer Gruppen ist es, Ökozid als fünftes Verbrechen gemäß dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu verankern. Bislang enthält das Statut Regelungen über die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. 1977 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Konvention über das Verbot der militärischen oder jeder anderen feindlichen Nutzung von Umweltveränderungstechniken, die gilt, wenn sich ein Staat im Krieg befindet. Einen völkerrechtlichen Straftatbestand des Ökozids, der in Friedenszeiten gilt, gibt es bislang nicht. Der Entwurf der International Law Commission (ILC) von 1991 enthielt 12 Verbrechen, darunter die vorsätzliche Schädigung der Umwelt in Artikel 26 (englischer Text siehe hier, S. 234). Dieser Artikel wurde aber letztlich nicht in das Römische Statut übernommen.
Auch wenn Ökozid noch nicht international als Verbrechen geahndet wird, ist es – zum Glück – nicht so, dass das Völkerrecht Umweltzerstörungen bislang gänzlich ignoriert hätte. Bereits seit langem anerkannt ist beispielsweise das Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen. Auch das Vorsorgeprinzip ist in verschiedenen internationalen Abkommen enthalten. Zahlreiche völkerrechtliche Verträge bezwecken den Schutz von Klima und Atmosphäre (Klimarahmenkonvention, Montreal-Protokoll), Meeren (MARPOL, Londoner Konvention), Biodiversität (Biodiversitätskonvention) oder gefährdeten Arten (Washingtoner Artenschutzabkommen). Viele dieser Regelungen leiden aber unter einem allgemeinen Defizit des Völkerrechts; seiner mangelnden Durchsetzungskraft. Das Hauptproblem liegt – wie sehr gut am Beispiel des Pariser Klimaschutzübereinkommens zu beobachten – in der Regel im Vollzug.
Die Anerkennung von Ökozid als Straftatbestand neben Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord hätte eine große symbolische Bedeutung. Sie könnte als ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Verhältnisses von Menschen zu ihrer Umwelt und zu mehr Respekt gegenüber der Natur gewertet werden. Die bloße Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von Umweltverbrechen könnte außerdem eine abschreckende Wirkung auf private und staatliche Akteur*innen entfalten. In welchem Ausmaß und ab wann sich daraus tatsächliche Verbesserungen für den Zustand von Umweltmedien, Ökosystemen und Arten ergeben würden, ist im Voraus aber schwer absehbar.
Einfluss und Wirkmacht des Internationalen Strafgerichtshofs sind zudem begrenzt. Der IStGH hat derzeit 123 Vertragsstaaten, darunter alle Mitgliedstaaten der EU. Da es sich überwiegend um kleinere Staaten handelt und Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland und die Türkei den Gerichtshof nicht unterstützen, untersteht jedoch ein großer Teil der Weltbevölkerung nicht seiner Jurisdiktion. Bislang hat der Gerichtshof erst 31 Fälle verfolgt und es gibt berechtigte Kritik daran, dass bestehende Machtgefälle und Ungleichheiten innerhalb der internationalen Gemeinschaft es zumindest unwahrscheinlicher machen, dass Personen aus mächtigeren Staaten verfolgt werden. Ebenfalls nicht ausgeklammert werden kann die Tatsache, dass Umweltzerstörung in Ländern des Globalen Südens häufig direkte oder indirekte Folge des Konsumverhaltens in Ländern des Globalen Nordens ist. Diese Überlegungen sprechen nicht zwangsläufig gegen eine Aufnahme von Ökozid in das Römische Statut, aber man sollte sie in der Diskussion nicht aus dem Blick verlieren und sich dessen bewusst sein, dass es sich nicht um ein Allheilmittel für die Umweltprobleme der Welt handelt.
Ökozid und nationales Umweltstrafrecht
Das deutsche Umweltstrafrecht enthält bislang keinen Straftatbestand Ökozid. Straftaten gegen die Umwelt sind im 29. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Dort werden verschiedene Straftatbestände aufgeführt, die gewissermaßen Teilmengen der Ökozid-Definition abdecken, beispielsweise die unerlaubte Verunreinigung verschiedener Umweltmedien (§§ 324 – 325 StGB). Strafvorschriften enthält auch das Bundesnaturschutzgesetz in § 71 und § 71a, hier geht es um Vergehen, die sich auf den Schutz von Tieren und Pflanzen beziehen. Das Chemikaliengesetz enthält in den §§ 27 ff ebenfalls einige Strafvorschriften. In verschiedenen anderen Umweltgesetzen gibt es außerdem Ordnungswidrigkeitstatbestände.
Andere Rechtsordnungen enthalten Ökozid-Tatbestände, die entweder Bezug nehmen auf Artikel 26 des Entwurfs der ILC oder – wie im Fall Ecuadors – im Zusammenhang mit verfassungsrechtlich verankerten Rechten der Natur stehen. In Frankreich wurde Ökozid mit dem Gesetz Nr. 2021-1104 vom 22 August 2021 zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen seine Auswirkungen unter Titel III des II. Buchs des Umweltgesetzbuchs aufgenommen. Als Ökozid strafbewehrt sind vorsätzliche Handlungen die gegen gesetzliche Regelungen zum Schutz von Gesundheit, Flora, Fauna, Luft und Gewässern verstoßen.
Auch die Europäische Kommission hält es für dringend erforderlich, den strafrechtlichen Schutz der Umwelt zu stärken. Sie hat deswegen einen Vorschlag für eine Überarbeitung der EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vorgelegt. Im gegenwärtigen Entwurf wird Ökozid in der Präambel erwähnt (Erwägungsgrund 16), aber nicht im Hauptteil, in dem die Straftatbestände aufgeführt sind. Die Stop Ecocide Foundation setzt sich dafür ein, dass Ökozid ausdrücklich als neuer Straftatbestand aufgenommen wird.
Die bloße Tatsache, dass eine Handlung strafbewehrt ist, bedeutet leider nicht, dass sie auch tatsächlich strafrechtlich verfolgt wird und/oder dass die Strafandrohung abschreckend wirkt. Umweltkriminalität stellt weltweit ein massives Problem dar. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen (2018) machen Umweltverbrechen den viertgrößten Bereich der Kriminalität weltweit aus und sie nehmen zu. Illegaler Handel mit geschützten Arten, aber auch Verbrechen im Zusammenhang mit Bodenschätzen oder illegaler Abfallbeseitigung können sehr lukrativ sein. Diese Form von Umweltkriminalität stellt auch ein Problem in Deutschland dar. So werden beispielsweise die genauen Wuchsorte geschützter Pflanzenarten wie des Frauenschuhs in Deutschland werden teilweise geheim gehalten, weil immer wieder ganze Bestände illegal ausgegraben werden. Auch illegaler Vogelfang kommt nicht nur in den Tropen vor.
In Deutschland sieht das Umweltbundesamt die Notwendigkeit für eine höhere politische Priorisierung des Umweltrechtsvollzugs, bessere personelle und technische Ausstattung und Spezialisierung von Behörden und bessere Zusammenarbeit zwischen Behörden. Nach Auffassung des Zolls werden die meisten Verstöße gegen Artenschutzbestimmungen aus Unwissenheit oder fehlendem Unrechtsbewusstsein begangen.
Davon abgesehen sind viele Formen von Umweltzerstörung und -verschmutzung nach derzeitigem Stand legal. In verschiedene Flüsse in Deutschland werden beispielsweise große Mengen salzhaltigen Abwassers eingeleitet, mit nachweislich negativen Auswirkungen für die betroffenen Ökosysteme. Auch andere umwelt- und gesundheitsschädliche Substanzen – Pestizide, Nitrat, Medikamentenrückstände, Stickstoffdioxid – gelangen auf legalem Weg in die Umwelt. Selbstverständlich gibt es Grenzwerte, die Menschen und Ökosysteme schützen sollen. Allerdings ist jede Grenzwertfestlegung auch die stillschweigende Akzeptanz der unterhalb ihrer Schwelle stattfindenden Verschmutzung. Auch die Zerstörung von Lebensräumen oder die Tötung geschützter Tierarten (beispielsweise von Wölfen nach § 45a BNatSchG) kann legal sein. Strafrecht kann viele Fragen, die sich im Zusammenhang mit menschlichen Umweltnutzungen stellen, nicht adäquat beantworten, weil es hier oft um die Abwägung zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern geht.
Die Hintergründe und Argumente der Diskussion um Ökozid als Straftatbestand sind hier nur schlaglichtartig wiedergegeben worden. Allen, die mehr über dieses spannende Thema erfahren möchten, empfehlen wir neben den im Text verlinkten Webseiten folgende Quellen (eine nicht-abschließende Liste):
- Stop Ecocide International
- Higgins, Eradicating Ecocide, 2016, ISBN 978-0856835087
- Zierler, The Invention of Ecocide, 2011, ISBN 978-0820338279
- Beck, Ökozid – ein neues völkerstrafrechtliches Kernverbrechen?, ZRP 2021, 187
- Europäische Kommission, Leitfaden zur Bekämpfung von Umweltkriminalität und damit zusammenhängenden Verstößen, 2021
- Donziger, Make ecocide an international crime and other legal ideas to help save the planet, The Guardian, 22. November 2022
- Moulin, „Ökozid ist ein Verbrechen“, Interview mit Jojo Mehta, TAZ, 28. März 2022
- Yeo, Ecocide: Should killing nature be a crime?, BBC Future Planet, 06. November 2020
- Ökozid im Film: „Ökozid“, Film von Andres Veiel und Hintergrundinformationen der Max-Planck-Gesellschaft
Dieselskandal und die Klagebefugnis von Umweltvereinigungen
Mit Urteil vom 8. November 2022 entschied der EuGH, dass anerkannte Umweltvereinigungen eine EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge, die mit möglicherweise verbotenen „Abschalteinrichtungen“ ausgestattet sind, vor Gericht anfechten können. Damit schloss sich der EuGH der Empfehlung des Generalanwalts an und stärkt durch das Urteil die Verbandsklagerechte.
Dem Urteil ging eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht gegen die Bundesrepublik Deutschland voraus. Darin klagte die DUH gegen eine Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts (KBA). Nachdem das KBA zunächst davon ausgegangen war, dass es sich bei der durch Volkswagen verwendeten Software um eine unionsrechtswidrige „Abschalteinrichtung“ handelte, nahm Volkswagen ein Update der Software vor. Daraufhin erteilte das KBA eine Genehmigung für diese erneuerte Software. Laut DUH handelte es sich aber auch bei dem durch die erneuerte Software festgelegten Thermofenster um eine nach Unionsrecht unzulässige Abschalteinrichtung.
Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hatte Zweifel an der Klagebefugnis der DUH. Weil es sich bei der angegriffenen Typengenehmigung des Kraftfahrtbundesamt nicht um eine der in § 1 Abs. 1 UmwRG abschließend aufgelisteten Entscheidungen handle, bestünde nach der deutschen Regelung kein Verbandsklagerecht. Das Gericht setzte deshalb das Verfahren aus und legte dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH urteilte nun, dass anerkannten Umweltvereinigungen nach Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention i.V.m. Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine möglicherweise unionsrechtswidrige EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten. Damit stärkt der EuGH das Verbandsklagerecht der Umweltverbände erneut und stellt klar, dass diese auch behördliche Produktzulassungsentscheidungen gerichtlich überprüfen lassen können. Damit steht auch die Vereinbarkeit von Art. 1 Abs. 1 UmwRG mit höherrangigem Unions- und Völkerrecht in Frage. Ist, wie im vorliegenden Fall, eine bestimmte Art umweltrelevanter Entscheidungen nicht von der nationalen Regelung erfasst, kann sich eine Klagebefugnis unmittelbar aus der Aarhus-Konvention und der EU-Grundrechte Charta ergeben.
Außerdem erinnerte der EuGH an seine bereits ergangene Rechtsprechung, wonach derartige Thermofenster grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen. Als solche sind sie nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn nachgewiesen ist, dass ihr Einsatz eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs abwenden soll und zu diesem Zweck keine anderen technischen Lösungen zur Verfügung stehen. Aber auch in einem solchen Ausnahmefall bleibt eine Abschalteinrichtung unzulässig, wenn sie – dem Ausnahmecharakter zuwiderlaufend – tatsächlich während des überwiegenden Teils des Jahres unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz kommen sollte.
Expert*innenrat für Klimafragen: Sofortprogramm des Verkehrsministeriums “schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch”
25. August 2022: Heute veröffentlichte der Unabhängige Expert*innenrat für Klimafragen seine Bewertung der beiden Klimaschutz-Sofortprogramme für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Das Fazit zum Programm von Verkehrsminister Volker Wissing fällt verheerend aus. Dieses sei “schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch”, weil noch nicht einmal versucht wird, wieder auf den Zielpfad des Klimaschutzgesetzes zurückzukehren. Die Maßnahmen für den Gebäudesektor sind zumindest rechnerisch geeignet, die Emissionsziele für 2030 zu erreichen – sofern sie tatsächlich umgesetzt werden.
Die Pflicht zur Erstellung eines Sofortprogramms entsteht gemäß § 8 Abs. 1 Klimaschutzgesetz (KSG), wenn ein Sektor die in Anlage 2 zum Klimaschutzgesetz festgelegten Jahreshöchstmengen an Treibhausgasen überschreitet. Das war im Jahr 2021 sowohl im Verkehrs- als auch im Gebäudesektor der Fall.
Die angekündigte Erarbeitung eines umfassenden gemeinsamen Klimaschutz-Sofortprogramms 2022 der Bundesregierung scheiterte. Am 13. Juli 2022 legten das Bau- und Wirtschaftsministerium ein Sofortprogramm für den Gebäudesektor und das Verkehrsministerium ein eigenes Programm für den Verkehrssektor vor, um jeweils ihrer gesetzlichen Pflicht aus § 8 Abs. 1 KSG nachzukommen.
Diese Programme wurden nun, wie in § 12 Abs. 2 KSG vorgesehen, vom Unabhängigen Expert*innenrat für Klimafragen daraufhin überprüft, ob die den Maßnahmen zugrunde gelegten Annahmen zur Treibhausgasreduktion nachvollziehbar sind. Im Gebäudesektor kann demnach das Emissions-Budget des KSG zumindest rechnerisch eingehalten werden, auch wenn die Zielerreichung erst „spätmöglichst“ erfolgen würde und das auch nur bei großzügiger Auslegung der gesetzlichen Vorgaben (Z7). Sichergestellt ist die Zielerreichung trotzdem nicht (Z14). Demgegenüber fällt das Sofortprogramm für den Verkehrssektor auf ganzer Linie durch. Die enthaltenen Maßnahmen können bis 2030 „eine erhebliche Überschreitung der Jahresemissionsmengen nicht verhindern“ (Z19). Weil das Verkehrsministerium noch nicht einmal den Anspruch formuliert, mit dem Programm wieder auf den Emissionspfad des Klimaschutzgesetzes zurückzukehren, steigt der Expertenrat in eine vertiefte Prüfung schon gar nicht ein.
UN-Resolution für ein Menschenrecht auf gesunde Umwelt
28. Juli 2022: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat für eine Resolution gestimmt, in der das Recht auf eine gesunde, saubere und nachhaltige Umwelt als eigenständiges Menschenrecht anerkannt wird. Die Resolution ist zwar nicht rechtsverbindlich; es bleibt aber zu hoffen, dass sie mehr Staaten dazu veranlassen wird, das Recht auf eine gesunde Umwelt anzuerkennen und in ihren Verfassungen und in internationalen Abkommen zu verankern. Außerdem kann die Resolution allen, die sich für eine gesunde Umwelt – nicht nur für Menschen – einsetzen, als ein weiteres Argument dienen, wenn sie gegen umweltschädigende Projekte und Praktiken vorgehen.
Staaten, internationale Organisationen, Unternehmen und andere Beteiligte werden ausdrücklich dazu aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um die internationale Zusammenarbeit zu verbessern, Kapazitäten auszubauen und Lösungsansätze miteinander zu teilen, um so die Bemühungen für eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt zu verstärken.
Die Resolution erkennt an, dass zahlreiche menschliche Verhaltensweisen die Wahrnehmung des Rechts auf eine gesunde Umwelt beeinträchtigen: Die nicht nachhaltige Bewirtschaftung und Nutzung natürlicher Ressourcen, die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser, die unsachgemäße Handhabung von Chemikalien und Abfällen, nicht zuletzt die Auswirkungen des Klimawandels, und der aus alledem resultierende Verlust an biologischer Vielfalt. Umweltschäden haben sowohl direkte als auch indirekte negative Auswirkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung aller Menschenrechte.
Eingebracht hatten den Text ursprünglich Costa Rica, die Malediven, Marokko, Slowenien und die Schweiz und über 100 weitere Staaten unterstützten den Vorschlag. Der Annahme der Resolution geht die jahrzehntelange Arbeit vieler Nichtregierungsorganisationen und Staaten voran. Im Herbst letzten Jahres hatte bereits der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen das Recht auf eine gesunde Umwelt anerkannt und die Generalversammlung aufgefordert, sich dem anzuschließen.
Für die Verankerung eines Rechts auf gesunde Umwelt hat sich 2021 auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats in einer Resolution ausgesprochen.
Klage des BUND gegen die A20 erfolgreich: Bundesverwaltungsgericht stoppt den Bau der Küstenautobahn
Am 7. Juli 2022 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig auf die Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der Bundesautobahn A20 von Westerstede bis Jaderberg für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt.
Der etwa 13 Kilometer lange erste Bauabschnitt ist Teil einer insgesamt 214 Kilometer langen „Küstenautobahn“, die von Westerstede in Niedersachsen bis Weede in Schleswig-Holstein größtenteils durch Moor- und Marschlandschaften führen soll. Die A20 ist laut Umweltbericht (S. 132) des Bundesverkehrsministeriums das umweltschädlichste Straßenbauvorhaben im Bundesverkehrswegeplan. Die ursprünglich für den Bau eingeplanten Kosten von 1,9 Milliarden Euro haben sich mittlerweile verdreifacht.
Als rechtswidrig erachtet das Bundesverwaltungsgericht die fehlerhafte Ermittlung der vorhabenbedingten Stickstoffbelastung. Auch nach einer Neuberechnung im Laufe des gerichtlichen Verfahrens konnte eine Beeinträchtigung des Landschaftsschutzgebiets „Garnholdt” nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb stoppte das Gericht den Bau des ersten Abschnitts der A20 bis auf weiteres, auch wenn es die weiteren Einwände des BUND zurückwies.
Unangetastet ließ das Bundesverwaltungsgericht insbesondere die Bedarfsfeststellung im Bundesverkehrswegeplan. Der Ausbau der A20 ist im geltenden Bundesverkehrswegeplan als Vorhaben des „Vordringlichen Bedarfs“ eingestuft. An diese gesetzliche Bedarfsfeststellung sieht sich das Gericht gebunden. Sie stelle eine verkehrspolitische Entscheidung des Gesetzgebers dar, deren gerichtliche Überprüfung auf eine Evidenzkontrolle beschränkt sei. Nur wenn die angestrebten Planungsziele unter keinen Umständen mehr erreicht werden können, wäre eine solche Bedarfsfeststellung verfassungswidrig. Das sei aber nicht hinreichend dargelegt worden.
Auch die mit dem Projekt verbundenen Treibhausgasemissionen stehen nach Auffassung des Gerichts dem Bau nicht entgegen. So enthalte das Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Vorgaben für einzelne Planfeststellungsverfahren ließen sich laut Bundesverwaltungsgericht daraus aber ebenso wenig herleiten wie aus dem Pariser Klimaübereinkommen.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt einen wichtigen Etappensieg im Kampf gegen den Autobahnausbau und für eine nachhaltige Verkehrswende dar. Wenngleich die Planungsbehörden die Realisierung des Projekts durch – ihrerseits beklagbare – Nachbesserungen weiter vorantreiben werden, so verschafft der vorläufige Baustopp ein Zeitfenster, das umweltschädliche Projekt auf politischer Ebene zu stoppen. Umso dringender muss nun endlich der im Koalitionsvertrag vereinbarte Dialogprozess starten und die Ausbauprojekte müssen auf ihre Vereinbarkeit mit den Klimaschutzzielen überprüft werden.
Klagen gegen andere Abschnitte der A20 könnten zudem anders ausgehen. Das Klimaschutzgesetz war im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Planfeststellungsbeschlusses noch nicht in Kraft getreten und musste daher nicht berücksichtigt werden. Künftige Vorhaben müssen nach § 13 KSG mit den Klimaschutzzielen vereinbar sein und den Klimabeschluss des BVerfG stärker in den Blick nehmen.
Verbleibendes Treibhausgasbudget für Deutschland ist spätestens 2040 aufgebraucht
Stellungnahme des Sachverständigenrats zum deutschen Restbudget erfordert Nachschärfung der deutschen Klimaziele
Am 15. Juni 2022 veröffentlichte der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU) seine Stellungnahme „Wie viel CO₂ darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO₂-Budget“. Darin hat der SRU auf Grundlage neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung des 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) das verbleibende Treibhausgasbudget für Deutschland aktualisiert. Nach den Berechnungen des SRU darf Deutschland ab 2022 nur noch 3,1 Gigatonnen CO2 emittieren, um den globalen Temperaturanstieg mit 50 % Wahrscheinlichkeit auf 1,5°C zu begrenzen. Zur Einhaltung von 1,75°C mit 67 % Wahrscheinlichkeit verblieben lediglich 6,1 Gigatonnen CO2. Eine Gigatonne sind 1000 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Nach Angaben des Umweltbundesamtes lagen die deutschen Gesamtemissionen im Jahr 2021 bei 762 Millionen Tonnen.
Das verbleibende CO2-Budget ist demnach bei linearer Reduktion der Emissionen bereits im Jahr 2031 (für 1,.5°C) bzw. 2040 (für 1,.75°C) aufgebraucht. Damit sind jedoch die Ziele aus § 2 Klimaschutzgesetz nicht vereinbar, die Klimaneutralität erst zum Jahr 2045 vorsehen.
Artikel 20a GG und das darin enthaltenen Klimaschutzgebot verpflichten die Gesetzgebung, das Klimaschutzgesetz an diese Berechnungen anzupassen und die Minderungsziele entsprechend nachzuschärfen. Zwar hat die Stellungnahme des SRU lediglich empfehlenden Charakter, doch kommt dem ermittelten Budget durchaus verfassungsrechtliche Bedeutung zu:
So hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum Klimaschutzgesetz vom 24.03.2021 explizit auf die Berechnungen des SRU bezogen, um dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu überprüfen. Das vom SRU ermittelte Restbudget stelle zwar kein zahlengenaues Maß für die Bewertung der Verfassungsmäßigkeit des Klimaschutzgesetzes dar, müsse aber dessen Grundlage bilden: „Obwohl die konkrete Quantifizierung des Restbudgets durch den Sachverständigenrat nicht unerhebliche Unsicherheiten enthält, müssen ihm die gesetzlichen Reduktionsmaßgaben Rechnung tragen.“ (Rn. 229). Dabei muss das Ambitionsniveau stets an die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden (Rn. 212). Diesbezüglich verpflichte das umweltvölkerrechtliche Sorgfaltsgebot (precautionary principle) zu besonderer Vorsicht beim Umgang mit wissenschaftlichen Ungewissheiten: „Hinsichtlich der Gefahr des irreversiblen Klimawandels muss das Recht daher auch den aus einem qualitätssichernden Verfahren hervorgegangenen Schätzungen des IPCC zur Größe des verbleibenden globalen CO2-Restbudgets und den Konsequenzen für verbleibende nationale Emissionsmengen Rechnung tragen, wenn diese auf die Möglichkeit der Überschreitung der verfassungsrechtlich maßgeblichen Temperaturschwelle hinweisen.“ (Rn. 229). Zusätzlich hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Ausrichtung der Klimaschutzbemühungen an einem Temperaturziel von 1,75°C nicht den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens entsprechen dürfte (Rn. 235).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann aber das Klimaschutzgesetz in seiner derzeitigen Form kaum mehr als mit dem Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG vereinbar bezeichnet werden. Eine Verschärfung der Ziele ist daher dringend geboten.