SLAPPs – Einschüchterungsklagen gegen die Zivilgesellschaft
Die Zivilgesellschaft muss sich immer häufiger auf Klagen gefasst machen, wenn sie sich für Umwelt-, Klima- oder Menschenrechtsschutz einsetzt. So wurde der Verein „Rettet den Regenwald e.V.“, vor dem Landgericht Hamburg wegen Verleumdung verklagt, nachdem er sich gegen die Zerstörung von Regenwaldgebieten in Indonesien ausgesprochen hatten. Ein Mitarbeiter des Umweltinstituts München e.V. wurde wegen einer satirischen Kampagne zum Einsatz von Pestiziden auf Südtiroler Obstplantagen von über 1370 Landwirt*innen angezeigt.
Ähnlich ging es der französischen Umweltschützerin Valérie Murat, die Pestizidrückstände in Bordeaux-Weinen öffentlich machte sowie mehreren französischen Zeitungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), nachdem sie sich kritisch zu Landraub in Kamerun geäußert hatten. Auch zwei kosovarische Aktivist*innen wurden von einem Unternehmen auf hohe Schadensersatzsummen verklagt, nachdem sie Umweltschäden durch dessen Wasserkraftwerke kritisierten.
SLAPPs – “Strategic Lawsuits Against Public Participation”
Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Sie stehen exemplarisch für ein mittlerweile immer weiter verbreitetes Phänomen, Tendenz steigend. Dieses Vorgehen von Unternehmen, Politiker*innen, Organisationen oder mächtigen Einzelpersonen nennt sich SLAPP, oder auch „Strategic Lawsuits Against Public Participation“, auf Deutsch „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“.
Bei dieser Form des Rechtsmissbrauchs nutzen – häufig mächtigere – Akteure das Gesetz, um andere einzuschüchtern oder zu sanktionieren, wenn sie in der Öffentlichkeit Missstände ansprechen oder für Angelegenheiten von öffentlichem Interesse eintreten. Betroffen sind davon in besonderem Ausmaß Journalist*innen, aber auch andere „public watchdogs“, wie Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsaktivist*innen oder NGOs geraten zunehmend ins Visier solcher Klagen.
Bedrohung für Grundrechte und Demokratie
Zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume werden durch solche rechtsmissbräuchlichen juristischen Taktiken zunehmend eingeschränkt. Nicht nur trauen sich Personen möglicherweise nicht mehr an Versammlungen teilzunehmen oder öffentlichkeitswirksam Kritik an Missständen zu äußern. Derartige SLAPP-Klagen können die Arbeit von NGOs sogar gänzlich lahmlegen.
Denn von derartigen Klagen geht ein Einschüchterungseffekt aus, der Betroffene finanziell, zeitlich und psychisch stark belasten kann. Anders als SLAPP-Kläger*innen wie zum Beispiel große Unternehmen haben die Betroffenen, wie NGOs und Aktivist*innen regelmäßig auch deutlich weniger Ressourcen. Wenn man sich dort mit einem Rechtsstreit rumschlagen muss, kann das existenzbedrohend sein. Außerdem kann Zeit, Geld und Personal nicht für die eigentliche Arbeit zum Beispiel zum Umwelt- und Klimaschutz eingesetzt werden.
Zunahme von SLAPP-Fällen in Europa
In Europa gibt es eine deutliche Zunahme von SLAPP-Verfahren, zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der „Coalition Against SLAPPs In Europe“. Allein zwischen 2010 und 2023 wurden in Europa 820 derartige Fälle dokumentiert. Betroffen sind Akteur*innen wie Journalist*innen, Aktivist*innen, Medienhäuser oder NGOs, wenn sie sich für Themen wie Korruptionsbekämpfung oder Umweltschutz einsetzen oder Politiker*innen oder Unternehmen öffentlich kritisieren.
Anti-SLAPP Gesetze notwendig
Diese Situation macht deutlich: Es braucht Gesetze gegen SLAPPs. Journalismus, Aktivismus und jegliche Form der Beteiligung in öffentlichen Angelegenheiten muss vor rechtsmissbräuchlichem Vorgehen geschützt werden. Und es gibt eine gute Nachricht: Seit April 2024 gibt es die EU-Richtlinie (EU) 2024/1069. Diese Anti-SLAPP Richtlinie wurde am 16. April 2024 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, die Mitgliedsstaaten haben bis Mai 2026 Zeit, um die Richtlinie in ihr nationales Recht umzusetzen.
Die Richtlinie zielt darauf ab, SLAPP-Betroffene vor missbräuchlichen Gerichtsverfahren mit grenzüberschreitenden Auswirkungen zu schützen. Sie gilt jedoch nur in zivil- und handelsrechtlichen Angelegenheiten, also beispielsweise nicht im Straf- oder Verwaltungsrecht. Sie legt gemeinsame Regeln für Verfahrensgarantien fest, wie zum Beispiel Sicherheiten, die das Gericht von SLAPP-Kläger*innen für die geschätzten Verfahrenskosten verlangen kann. Des Weiteren enthält sie Bestimmungen zur frühzeitigen Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen sowie Regelungen für die Erstattung von Kosten des Gerichtsverfahrens. Zudem sollen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass Gerichte in SLAPP-Fällen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen oder sonstige gleichermaßen wirksame geeignete Maßnahmen verhängen können. Überdies trifft die Richtlinie Regelungen zur Ablehnung der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus Drittstaaten.
Wichtig ist: Die Richtlinie legt explizit lediglich Mindestanforderungen fest. Deutschland sollte jedoch über die vorgesehenen Regelungen hinausgehen. So sollten die Regelungen insbesondere, wie bereits in der Empfehlung der EU-Kommission aus dem April 2022 empfohlen, nicht nur für grenzüberschreitende, sondern auch für rein nationale Fälle gelten.
Im April 2024 hat auch der Europarat eine Empfehlung zu SLAPPs abgegeben. Diese Empfehlung reicht teilweise weiter als die EU-Richtlinie, indem sie beispielsweise auch straf- und verwaltungsrechtlich SLAPPs erfasst. Auch wenn sie, anders als die EU-Richtlinie, rechtlich nicht bindend ist, ist sie ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen SLAPPs in Europa und der Welt.
Weiterführende Informationen
Werfen Sie auch gerne einen Blick in unseren Green Legal Spaces Report 2023. Darin geht es um die Beschränkung politischer Teilhaberechte der Klimabewegung in Deutschland. Unter vielen anderen Aspekten geht es hier auch um SLAPPs.
Für weitere Informationen in Bezug auf Europa gibt es das europäische Bündnis gegen SLAPPs: Coalition against SLAPPs in Europe (CASE) und deren Berichte zu SLAPPs in Europa (Englisch)
In Deutschland gibt es seit kurzem die No SLAPP Anlaufstelle zum Schutz journalistischer Arbeit. Sie bringt erstmalig verschiedene namhafte Organisationen und Expert*innen zusammen, um Journalist*innen und andere kritische Akteur*innen der Öffentlichkeit, die von rechtlichen Einschüchterungsversuchen betroffen sind, zu unterstützen.