Was ist Ökozid?

Ökozid beschreibt einen Straftatbestand, den es im deutschen Recht (noch) nicht gibt, der jedoch von verschiedenen Akteur*innen völkerrechtlich und auf EU-Ebene gefordert wird. Bei Ökozid geht es im Kern stets um massive Umweltzerstörung, beispielsweise durch Vergiftung von Umweltmedien wie Wasser oder Boden, die massenhafte Vernichtung von Flora und Fauna oder die Herbeiführung von Umweltkatastrophen.

Als Legaldefinition hat das Unabhängiges Expert*innengremium im Auftrag der Stop Ecocide Foundation 2021 vorgeschlagen: Ökozid beschreibt rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, die mit dem Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht werden.

Es gibt abweichende Definitionen in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, die Ökozid als Straftatbestand oder vergleichbare Straftatbestände festlegen.

Ökozid im Völkerrecht

Das Anliegen der Stop Ecocide Foundation und verschiedener anderer Gruppen ist es, Ökozid als fünftes Verbrechen gemäß dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu verankern. Bislang enthält das Statut Regelungen über die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. 1977 verabschiedeten die Vereinten Nationen  die Konvention über das Verbot der militärischen oder jeder anderen feindlichen Nutzung von Umweltveränderungstechniken, die gilt, wenn sich ein Staat im Krieg befindet. Einen völkerrechtlichen Straftatbestand des Ökozids, der in Friedenszeiten gilt, gibt es bislang nicht. Der Entwurf der International Law Commission (ILC) von 1991 enthielt 12 Verbrechen, darunter die vorsätzliche Schädigung der Umwelt in Artikel 26 (englischer Text siehe hier, S. 234). Dieser Artikel wurde aber letztlich nicht in das Römische Statut übernommen.

Auch wenn Ökozid noch nicht international als Verbrechen geahndet wird, ist es – zum Glück – nicht so, dass das Völkerrecht Umweltzerstörungen bislang gänzlich ignoriert hätte. Bereits seit langem anerkannt ist beispielsweise das Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen. Auch das Vorsorgeprinzip ist in verschiedenen internationalen Abkommen enthalten. Zahlreiche völkerrechtliche Verträge bezwecken den Schutz von Klima und Atmosphäre (Klimarahmenkonvention, Montreal-Protokoll), Meeren (MARPOL, Londoner Konvention), Biodiversität (Biodiversitätskonvention) oder gefährdeten Arten (Washingtoner Artenschutzabkommen). Viele dieser Regelungen leiden aber unter einem allgemeinen Defizit des Völkerrechts; seiner mangelnden Durchsetzungskraft. Das Hauptproblem liegt – wie sehr gut am Beispiel des Pariser Klimaschutzübereinkommens zu beobachten – in der Regel im Vollzug.

Die Anerkennung von Ökozid als Straftatbestand neben Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord hätte eine große symbolische Bedeutung. Sie könnte als ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Verhältnisses von Menschen zu ihrer Umwelt und zu mehr Respekt gegenüber der Natur gewertet werden. Die bloße Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von Umweltverbrechen könnte außerdem eine abschreckende Wirkung auf private und staatliche Akteur*innen entfalten. In welchem Ausmaß und ab wann sich daraus tatsächliche Verbesserungen für den Zustand von Umweltmedien, Ökosystemen und Arten ergeben würden, ist im Voraus aber schwer absehbar.

Einfluss und Wirkmacht des Internationalen Strafgerichtshofs sind zudem begrenzt. Der IStGH hat derzeit 123 Vertragsstaaten, darunter alle Mitgliedstaaten der EU. Da es sich überwiegend um kleinere Staaten handelt und Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland und die Türkei den Gerichtshof nicht unterstützen, untersteht jedoch ein großer Teil der Weltbevölkerung nicht seiner Jurisdiktion. Bislang hat der Gerichtshof erst 31 Fälle verfolgt und es gibt berechtigte Kritik daran, dass bestehende Machtgefälle und Ungleichheiten innerhalb der internationalen Gemeinschaft es zumindest unwahrscheinlicher machen, dass Personen aus mächtigeren Staaten verfolgt werden. Ebenfalls nicht ausgeklammert werden kann die Tatsache, dass Umweltzerstörung in Ländern des Globalen Südens häufig direkte oder indirekte Folge des Konsumverhaltens in Ländern des Globalen Nordens ist. Diese Überlegungen sprechen nicht zwangsläufig gegen eine Aufnahme von Ökozid in das Römische Statut, aber man sollte sie in der Diskussion nicht aus dem Blick verlieren und sich dessen bewusst sein, dass es sich nicht um ein Allheilmittel für die Umweltprobleme der Welt handelt.

Ökozid und nationales Umweltstrafrecht

Das deutsche Umweltstrafrecht enthält bislang keinen Straftatbestand Ökozid. Straftaten gegen die Umwelt sind im 29. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Dort werden verschiedene Straftatbestände aufgeführt, die gewissermaßen Teilmengen der Ökozid-Definition abdecken, beispielsweise die unerlaubte Verunreinigung verschiedener Umweltmedien (§§ 324 – 325 StGB). Strafvorschriften enthält auch das Bundesnaturschutzgesetz in § 71 und § 71a, hier geht es um Vergehen, die sich auf den Schutz von Tieren und Pflanzen beziehen. Das Chemikaliengesetz enthält in den §§ 27 ff ebenfalls einige Strafvorschriften. In verschiedenen anderen Umweltgesetzen gibt es außerdem Ordnungswidrigkeitstatbestände.

Andere Rechtsordnungen enthalten Ökozid-Tatbestände, die entweder Bezug nehmen auf Artikel 26 des Entwurfs der ILC oder – wie im Fall Ecuadors – im Zusammenhang mit verfassungsrechtlich verankerten Rechten der Natur stehen. In Frankreich wurde Ökozid mit dem Gesetz Nr. 2021-1104 vom 22 August 2021 zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen seine Auswirkungen unter Titel III des II. Buchs des Umweltgesetzbuchs aufgenommen. Als Ökozid strafbewehrt sind vorsätzliche Handlungen die gegen gesetzliche Regelungen zum Schutz von Gesundheit, Flora, Fauna, Luft und Gewässern verstoßen.

Auch die Europäische Kommission hält es für dringend erforderlich, den strafrechtlichen Schutz der Umwelt zu stärken. Sie hat deswegen einen Vorschlag für eine Überarbeitung der EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vorgelegt. Im gegenwärtigen Entwurf wird Ökozid in der Präambel erwähnt (Erwägungsgrund 16), aber nicht im Hauptteil, in dem die Straftatbestände aufgeführt sind. Die Stop Ecocide Foundation setzt sich dafür ein, dass Ökozid ausdrücklich als neuer Straftatbestand aufgenommen wird.

Die bloße Tatsache, dass eine Handlung strafbewehrt ist, bedeutet leider nicht, dass sie auch tatsächlich strafrechtlich verfolgt wird und/oder dass die Strafandrohung abschreckend wirkt. Umweltkriminalität stellt weltweit ein massives Problem dar. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen (2018) machen Umweltverbrechen den viertgrößten Bereich der Kriminalität weltweit aus und sie nehmen zu. Illegaler Handel mit geschützten Arten, aber auch Verbrechen im Zusammenhang mit Bodenschätzen oder illegaler Abfallbeseitigung können sehr lukrativ sein. Diese Form von Umweltkriminalität stellt auch ein Problem in Deutschland dar. So werden beispielsweise die genauen Wuchsorte geschützter Pflanzenarten wie des Frauenschuhs in Deutschland werden teilweise geheim gehalten, weil immer wieder ganze Bestände illegal ausgegraben werden. Auch illegaler Vogelfang kommt nicht nur in den Tropen vor.

In Deutschland sieht das Umweltbundesamt die Notwendigkeit für eine höhere politische Priorisierung des Umweltrechtsvollzugs, bessere personelle und technische Ausstattung und Spezialisierung von Behörden und bessere Zusammenarbeit zwischen Behörden. Nach Auffassung des Zolls werden die meisten Verstöße gegen Artenschutzbestimmungen aus Unwissenheit oder fehlendem Unrechtsbewusstsein begangen.

Davon abgesehen sind viele Formen von Umweltzerstörung und -verschmutzung nach derzeitigem Stand legal. In verschiedene Flüsse in Deutschland werden beispielsweise große Mengen salzhaltigen Abwassers eingeleitet, mit nachweislich negativen Auswirkungen für die betroffenen Ökosysteme. Auch andere umwelt- und gesundheitsschädliche Substanzen – Pestizide, Nitrat, Medikamentenrückstände, Stickstoffdioxid – gelangen auf legalem Weg in die Umwelt. Selbstverständlich gibt es Grenzwerte, die Menschen und Ökosysteme schützen sollen. Allerdings ist jede Grenzwertfestlegung auch die stillschweigende Akzeptanz der unterhalb ihrer Schwelle stattfindenden Verschmutzung. Auch die Zerstörung von Lebensräumen oder die Tötung geschützter Tierarten (beispielsweise von Wölfen nach § 45a BNatSchG) kann legal sein. Strafrecht kann viele Fragen, die sich im Zusammenhang mit menschlichen Umweltnutzungen stellen, nicht adäquat beantworten, weil es hier oft um die Abwägung zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern geht.

Mehr zum Thema

Die Hintergründe und Argumente der Diskussion um Ökozid als Straftatbestand sind hier nur schlaglichtartig wiedergegeben worden. Allen, die mehr über dieses spannende Thema erfahren möchten, empfehlen wir neben den im Text verlinkten Webseiten folgende Quellen (eine nicht-abschließende Liste):