Umweltrechte der Zivilgesellschaft
Die Aarhus-Konvention: Mehr Rechte für die Zivilgesellschaft im Umweltbereich
Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Nach dem Ort seiner Unterzeichnung, der Stadt Århus (Aarhus) in Dänemark, wird es auch „Aarhus-Konvention“ genannt. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, also auch Deutschland, sind Vertragsparteien dieser Konvention. Auch die EU selbst ist Vertragspartei.
Durch die Umsetzung der Aarhus-Konvention in europäisches und in nationales Recht ist es deutlich einfacher geworden, Zugang zu Umweltinformationen zu erhalten und Bürger*innen und Interessensgruppen müssen jetzt an vielen umweltrelevanten Verfahren stärker beteiligt werden. Außerdem wurden die Klagerechte von Umweltverbänden, die sich für effektiven Umweltschutz einsetzen, gestärkt. Zuvor konnten nur direkt persönlich betroffene Bürger*innen klagen. Das führte zu einem Rechtsschutzdefizit, weil Umweltinteressen häufig Gemeinwohlinteressen sind, die zwar alle oder viele Menschen irgendwie betreffen, aber nur wenige oder niemanden direkt und persönlich. Die Umweltverbände können jetzt als Vertreter von Gemeinwohlinteressen auftreten.
Damit sich Einzelne und Umweltverbände an Verfahren mit Umweltauswirkungen beteiligen können, benötigen sie meistens zuerst einmal Informationen dazu. Deswegen sieht die sogenannte „erste Säule“ der Aarhus-Konvention ein Recht auf Zugang zu Umweltinformationen vor (Artikel 4). Umweltinformationen im Sinne der Konvention (Artikel 2) sind zum Beispiel Informationen über den Zustand der Umweltbestandteile (Luft, Wasser, Boden) oder über Tätigkeiten und Maßnahmen (zum Beispiel Politiken, Gesetze, Pläne und Programme), die sich auf die Umweltbestandteile auswirken. In Deutschland regeln das Umweltinformationsgesetz des Bundes (UIG) und die Umweltinformationsgesetze der Bundesländer den Zugang zu Umweltinformationen.
Die zweite Säule der Aarhus-Konvention regelt die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltrelevanten Verfahren. Insbesondere geht es dabei um die Beteiligung bei Enstcheidungen über bestimmte Tätigkeiten und Projekte (Artikel 6). Die zuständige Behörde muss Betroffene und Umweltverbände zunächst einmal darüber informieren und im Anschluss daran in angemessener Weise beteiligen. Beteiligungsmöglichkeiten sind außerdem auch bei der Vorbereitung von Plänen, Programmen und Politiken mit Umweltbezug vorgesehen (Artikel 7). Nach Artikel 8 sollen die Behörden die Öffentlichkeit bei der Vorbereitung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verfassungsbestimmungen einbeziehen, die erhebliche Auswirkung auf die Umwelt entfalten können.
Wenn die Informations- und Beteiligungsrechte verletzt werden, haben Betroffene die Möglichkeit, sich dagegen vor Gericht zu wehren. Außerdem schützt die dritte Säule der Aarhus-Konvention auch den Zugang zu Gericht, wenn das nationale (also zum Beispiel das deutsche) Umweltrecht verletzt wird. In diesem Zusammenhang spielt die Umweltverbandsklage, also die Möglichkeit, dass Umweltverbände vor Gericht die Beachtung geltenden Umweltrechts einfordern, eine wichtige Rolle.
Beteiligungsrechte für Umweltverbände
Umweltinteressen sind in der Regel Gemeinwohlinteressen. Die Umwelt hat jedoch keine eigene Stimme, mit der sie sprechen könnte: Ein Fluss kann sich ebenso wenig gegen die Einleitung von Abwässern wehren, wie ein Tier gegen die Zerstörung seines Lebensraumes. Privatpersonen können nach deutschem Recht in der Regel nur dann gerichtlich gegen die (geplante) Schädigung der Umwelt vorgehen, wenn sie selbst individuell und unmittelbar betroffen sind, beispielsweise in ihrer Gesundheit oder als Grundstückseigentümer. Dadurch entsteht eine Rechtsschutzlücke. Die zuständigen Behörden berücksichtigen bei ihren Planungen und Entscheidungen zwar auch Umweltinteressen. Sie müssen aber viele verschiedene und teilweise nicht vereinbare Interessen berücksichtigen und Kompromisslösungen finden. Dabei fällt die Entscheidung aufgrund der Übermacht wirtschaftlicher und institutioneller Interessen häufig zuungunsten von Umwelt- und Gemeinwohlbelangen aus. Umweltverbände fungieren hier als Gegengewicht und bemühen sich, Umweltinteressen Gehör und Berücksichtigung zu verschaffen.
Umweltverbände können sich an umweltrelevanten Planungs- und Genehmigungsverfahren beteiligen, beispielsweise indem sie Einwendungen gegen Bauprojekte erheben und an Erörterungsterminen teilnehmen. Sie können die zuständigen Behörden auf Missstände und Vollzugsdefizite hinweisen und haben eine wichtige Informationsfunktion für Behörden, aber auch für die breitere Öffentlichkeit, weil sie im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit Umweltthemen aufgreifen und für die Allgemeinheit zugänglich machen. Umweltverbände beteiligen sich dabei auf allen Ebenen an politischen Prozessen – in Städten und Gemeinden ebenso wie auf Landes- und Bundesebene. Wird geltendes Umweltrecht verletzt, dann können Umweltverbände, die nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannt sind, auch dagegen klagen. Neben diesen sogenannten Umweltverbandsklagen gibt es Verbandsklagemöglichkeiten auch im Naturschutz- und Tierschutzrecht.
Planungs- und Genehmigungsverfahren, gerade bei großen Infrastrukturprojekten wie neuen Bahntrassen oder Windparks, können sehr zeitaufwendig sein. Insbesondere im Kontext der Energiewende ist es aber wichtig, diese Verfahren zu beschleunigen, um rasch den Ausstoß von Treibhausgasemissionen zu verringern. Seitens der Politik werden deswegen regelmäßig Forderungen laut, die Öffentlichkeitsbeteiligung an diesen Verfahren und die Beteiligungs- und Klagerechte von Umweltverbänden zu beschneiden. Man erhofft sich dadurch eine Straffung der Verfahren.
Die Annahme, dass Beteiligungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten diese Verfahren unnötig in die Länge ziehen, ist aber falsch. Zum einen fördert eine frühzeitige und umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit die Akzeptanz von Projekten und trägt zur Befriedung von Konflikten bei. Zum anderen verfügen gerade Umweltverbände häufig über relevante Informationen zum Zustand von Natur und Umwelt, die für die Beurteilung im Verfahren wichtig sind. Da die Umwelt nicht für sich selbst sprechen kann, übernehmen sie außerdem eine wichtige Stellvertreterfunktion, indem sie Umwelt- und Allgemeininteressen im Verfahren vertreten, die sonst nicht berücksichtigt würden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Umweltverbände sehr sorgfältig auswählen, welche Fälle sie vor Gericht bringen. Die für verwaltungsgerichtliche Verfahren ungewöhnlich hohe Erfolgsquote bei Umweltverbandsklagen zeigt, dass sie ein wirksames Instrument für die Überwachung der Einhaltung geltenden Umweltrechts sind.
Deswegen sind Forderungen nach der Einschränkung von Beteiligungsrechten und Rechtsschutzmöglichkeiten problematisch. Solche Einschränkungen würden dazu führen, dass Umwelt- und Gemeinwohlinteressen hinter der Übermacht wirtschaftlicher und institutioneller Interessen zurückstehen müssten. Aus diesen Gründen wurden die Beteiligungs- und Klagerechte von Umweltverbänden sogar auf völkerrechtlicher Ebene in der Aarhus-Konvention verankert. Darüber hinaus sind sie auch über das Europarechte geschützt.
Verbandsklagerechte
Verbandsklagen gibt es in Deutschland und der Europäischen Union im Bereich Umwelt-, Verbraucher*innen- und Tierschutzrecht – allerdings mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen.
Mit der Aarhus-Konvention und ihrer Umsetzung in Europa ist etwas erreicht worden, was vorher kaum möglich schien: Echte Verbandsklagerechte für Umweltverbände in Deutschland, womit die Anwendung von bestehendem Recht durch Gerichte überprüft werden kann. Nicht nur persönlich Betroffene können klagen (etwa wegen Lärmbelästigung oder Verstoß gegen Luftreinhalteziele) sondern auch ein Verband, also in Wahrnehmung der Interessen von vielen Bürger*innen und der Umwelt als solche. Umgesetzt wird dies in Deutschland durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) – dies allerdings noch immer nicht ausreichend. Politische Kräfte in Deutschland und der EU machen das Verbandsklagerecht verantwortlich für lange Planungszeiträume und Gerichtsverfahren. Das Umweltbundesamt sieht demgegenüber weder einen Trend zu einer „Klageflut“ noch statistische Belege, die darauf hindeuten. Mit der Erkenntnis aus verschiedenen Forschungsvorhaben schreibt das UBA auf seiner Website stattdessen: „Generell lässt das Klageverhalten der Umweltverbände den Schluss zu, dass diese ihre knappen Ressourcen Zeit und Geld sehr sorgfältig und rational einsetzen. Daher wird grundsätzlich nur bei eklatanten fachlichen und rechtlichen Mängeln ein Rechtsbehelf nach dem UmwRG eingelegt.“
Rechtlichen Grundlagen, wissenschaftliche Analysen und Statistiken dazu finden Sie beim Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU e.V.) und beim Bundesumweltministerium (BMUV).
Beteiligungsmöglichkeiten auf EU-Ebene
Bürger*innen und Umweltverbände haben zahlreiche Möglichkeiten sich an den demokratischen Prozessen der EU zu beteiligten und so gezielt den Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben. So besteht die Option eine Petition beim Petitionsausschluss des Europäischen Parlaments einzureichen, eine Europäische Bürgerinitiative ins Leben zu rufen oder an öffentlichen Onlinekonsultationen teilzunehmen. Darüber hinaus bestehen auch im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltbezogenen Plänen und Programmen Möglichkeiten zur Einflussnahme.
Was wir tun
GLI setzt sich dafür ein, dass der Umsetzung von geltendem Umweltrecht weniger Steine in den Weg gelegt werden. Dass dies notwendig ist, ergibt sich letztlich auch aus Artikel 20a Grundgesetz.
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses Staatsziels ist, dass die beiden Gewalten Legislative und Exekutive auch von den Gerichten überprüft werden können – und zwar zum Wohle aller und zur Umsetzung objektiven Rechts.
GLI will Positionen zu politischen Prozessen in Deutschland und der EU erarbeiten, konkrete Vorschläge zur Umsetzung von Recht vorlegen, sowie eine Plattform für Jurist*innen und Verbände bieten, um den Umgang mit Klagerechten verantwortlich zu gestalten.