Offener Brief von Rechtswissenschaftlichen Professor:innen und Wissenschaftler:innen des Völker- und Verfassungsrechts
Für eine völkerrechts- und verfassungsgemäße Ausgestaltung des neuen Sondervermögens – Klimaschutz ist Pflicht
Das Sondervermögen nach Art. 143h GG eröffnet für den Gesetzgeber die Möglichkeit, die zentralen öffentlichen Investitionen der kommenden Jahre zu gestalten. Dies ist nicht nur eine politische Weichenstellung, sondern auch eine verfassungsrechtlich hochrelevante Maßnahme.
Wir möchten mit diesem Beitrag auf die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen aufmerksam machen, die im Rahmen der Errichtung und Verwendung des Sondervermögens gelten. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung:
1. Der Staat ist verpflichtet, Klimaschutz effektiv und rechtzeitig sicherzustellen
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 24. März 2021 festgestellt, dass das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG die Einhaltung eines völkerrechtskonformen Reduktionspfades verlangt. Dieser Pfad ist nicht allein programmatischer Natur, sondern erfordert – wie auch im Klimaseniorinnen-Urteil des EGMR vom 9. April 2024 betont – die tatsächliche Umsetzung geeigneter Maßnahmen. Dies setzt deren finanzielle Absicherung voraus. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, ausreichende Mittel für die Umsetzung des noch zu beschließenden Klimaschutzprogramms 2026 bereitzustellen.
2. Umfassendere Mittel des Sondervermögens müssen für verfassungsgebotene Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden
Neben der Zuführung an den Klima- und Transformationsfonds darf das restliche Sondervermögen nach Art. 143h GG nicht nur als allgemeiner Infrastrukturfonds genutzt werden. Vielmehr ist seine Verwendung im Lichte der gleichrangigen Zweckbestimmungen des Art. 143h GG und der Verpflichtungen aus Art. 20a GG auszulegen. Diese Belange sind bei allen staatlichen Abwägungen zu berücksichtigen, wobei das relative Gewicht des Klimaschutzgebots bei fortschreitendem Klimawandel weiter zunimmt.
3. Investitionen in fossile Infrastrukturen stehen dem Verfassungsauftrag entgegen
Die Verwendung von Mitteln des Sondervermögens für neue fossile Projekte (z. B. Gasinfrastruktur ohne realistisches Potenzial für grünen Wasserstoff, Flughäfen oder Terminals) könnte die Verfassungsmäßigkeit der Ausgaben ernsthaft in Frage stellen. Sie gefährdet die Einhaltung der verfassungsrechtlich bindenden Klimaziele, wodurch massive, wohl unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheit künftiger Generationen notwendig werden.
Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Völker- und Verfassungsrechts fordern wir die Bundesregierung und die gesetzgebenden Organe des Bundes daher auf, die Errichtung und Ausgestaltung des Sondervermögens so vorzunehmen, dass es dem Klimaschutzauftrag des Grundgesetzes und des Völkerrechts gerecht wird – und Deutschland auf einen rechtskonformen, planungssicheren und generationengerechten Pfad zur Klimaneutralität bringt.
Weiterführende Informationen:
Dieser offene Brief wurde von Green Legal Impact und GermanZero koordiniert. Hierzu haben wir am 23.06.2025 Pressemitteilung veröffentlicht.
Für Rückfragen oder falls Sie den Brief nachträglich mitzeichnen wollen, wenden Sie sich an:
Valentine Zheng, +49 30 235 9779 66, zheng@greenlegal.eu
Emmanuel Schlichter, +49 176 4761 3860, emmanuel.schlichter@germanzero.de


Erstunterzeichner:innen zum 23.06.2025:
Prof. Dr. Jelena Bäumler, Universität Lüneburg
Prof. Dr. Jochen von Bernstorff, Universität Tübingen
Prof. Dr. Tobias Brönneke, Hochschule Pforzheim
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, Universität Rostock
Prof. Dr. Kurt Faßbender, Universität Leipzig
Prof. Dr. Michael Fehling, Bucerius Law School Hamburg
Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Thomas Groß, Universität Osnabrück
Prof. Dr. Felix Hanschmann, Bucerius Law School Hamburg
Prof. Dr. Georg Hermes, Universität Frankfurt am Main
Prof. Dr. Markus Kaltenborn, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Lando Kirchmair, Universität der Bundeswehr München
Prof. Dr. Remo Klinger, HNE Eberswalde
Prof. Dr. Markus Krajewski, Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Universität Kassel
Prof. Dr. Hermann Ott, HNE Eberswalde
Prof. Dr. Niels Petersen, Universität Münster
Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl, Hochschule RheinMain
RiBVerfG a.D. Prof. Dr. Dr. H.c. Wolfgang Hoffmann-Riem, Universität Hamburg
Prof. Dr. Lucia Sommerer, Universität Halle-Wittenberg
Prof. Dr. Dominik Steiger, Technische Universität Dresden
Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute, Universität Hamburg
Prof. Dr. Berit Völzman, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Gerd Winter, Universität Bremen
Dr. Andreas Buser, New York University / Freie Universität Berlin
Dr. Sören Deister, Universität Hamburg
Dr. Andreas Gutmann, Universität Kassel
Dr. Michael von Landenberg-Roberg, Humboldt-Universität zu Berlin
Nachträgliche Unterzeichner:innen (chronologisch):
Prof. Dr. Alexander Graser, Universität Regensburg (am 24.06.2025)