Am 15.05.2025 hat der Expertenrat für Klimafragen (ERK) seinen Prüfbericht zu den Projektionsdaten 2025 veröffentlicht. In diesem stellt er fest, dass Deutschland das nach dem Klimaschutzgesetz (KSG) vorgegebene Emissionsbudget für die Jahre 2021-2030 nur sehr knapp einhält. Die gerade noch im Rahmen des Erlaubten liegende Emissionsprojektion beruht vor allem auf den wirtschaftlichen Rückgang 2021-2024 und auf Einsparungen im Energiesektor: für die Jahre 2025-2030 werden die jährlichen Budgets (sogenannte Jahresemissionsgesamtmengen, JEG) hingegen um 32 Mt CO2 überschritten . Nach wie vor sind vor allem die Zielverfehlungen in den Sektoren Gebäude und Verkehr besorgniserregend. Das gesetzliche – (und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht einmal ausreichende) – Klimaziel für 2040 sowie die Klimaneutralität 2045 sind in weiter Ferne, und auch das nach der EU-Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) für Deutschland zustehende Budget wird überschritten.
Prüfbericht verdeutlicht: Abschaffung der Sektorenziele womöglich verfassungswidrig
Dass die Bundesregierung nicht zur Nachsteuerung verpflichtet wird, liegt also nicht daran, dass sie etwa auf gutem Kurs wäre. Grund ist vielmehr die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes durch die Novelle vom 15.07.2024.
Trotz der alarmierenden Schlussfolgerungen im Prüfbericht sieht das novellierte KSG für Situationen wie die diesjährige keine Nachsteuerungspflicht mehr vor. Dass der ERK dieses Jahr keine Nachsteuerungspflicht feststellt, hängt daher allein mit deren Abschwächung durch die KSG-Novelle vom 15.07.2024 zusammen. Die jährlichen Sektorenbudgets sind seitdem nicht mehr verbindlich, denn auch wenn sie überschritten werden, wird der Nachsteuerungsmechanismus nicht mehr ausgelöst. Die Voraussetzungen für die Nachsteuerung sind nun viel höher: die Prognose der Gesamtemissionen zwischen 2021-2030 müssen zwei Jahre lang in Folge die Summe der für diesen Zeitraum festgelegten JEG überschreiten. Damit besteht kein klarer Minderungspfad mehr hin zu den Klimazielen, sodass dem KSG ein wichtiger Teil des Transformationsdrucks genommen wurde.
Viele Rechtswissenschaftler*innen gehen deswegen davon aus, dass die Abschwächung des Nachsteuerungsmechanismus durch die KSG-Novelle verfassungswidrig – z.B. Hofmann, ZRP 2023, 201; Wiedmann, NVwZ 2024, 876; mit den dort aufgezeigten Kriterien auch Willert/Nesselhauf, KlimR 2023, 135; sowie implizit mehr als 60 Professor*innen der Rechtswissenschaft („Für eine völker- und verfassungsrechtskonforme Klimaschutzpolitik“ – Verfassungsblog vom 31.08.2023). Entsprechende Verfassungsbeschwerden von Greenpeace, BUND und DUH sind anhängig.
Klimaschutzprogramm nun umso wichtiger
Auch der Prüfbericht stellt klar: es bleibt jedenfalls bei der Pflicht zur Erstellung eines neuen Klimaschutzprogramms (KSP). Nach § 9 Abs. 1 KSG muss die Bundesregierung dieses spätestens bis März 2026 beschließen. Hierfür müssen die Ministerien bis September 2025 Vorschläge unterbreiten. Diese Pflichten und Fristen sind gesetzlich festgelegt und damit verbindlich – und einklagbar, wie z.B. die DUH bereits gezeigt hat. § 9 Abs. 3 KSG sieht für die Erstellung des KSP ein öffentliches Konsultationsverfahren vor: Nach den Vorgaben der für Deutschland verbindlichen Aarhus-Konvention (AK) erfordert eine effektive Beteiligung der Öffentlichkeit bei umweltbezogenen Programmen und Politiken (Art. 7 i.V.m. Art. 6 Abs. 3, 4, 8 AK), dass die Öffentlichkeit frühzeitig einbezogen wird, wenn noch alle Optionen offen sind. Eine Konsultation muss demnach sowohl zu den vorbereitenden Vorschlägen der Ministerien als auch zum Entwurf des gesamten KSP der Bundesregierung erfolgen.
Materielle Anforderungen
Nach § 9 Abs. 1 S. 2 und 3 KSG muss die Maßnahmenplanung im KSP die Einhaltung der Klimaziele bis 2040 sicherstellen: die Maßnahmen müssen dafür Sorge tragen, dass die JEG jahresscharf eingehalten werden – hier erfolgt also, im Gegensatz zum Nachsteuerungsmechanismus nach § 8 Abs. 1 KSG, keine Gesamtbetrachtung über mehrere Jahre hinweg. Die Bundesregierung muss also auch sofort gemäß § 4 Abs. 4 KSG die zulässigen JEG für die Jahre 2031-2040 festlegen und diese gemäß § 5 Abs. 8 KSG auf die einzelnen Sektoren aufteilen. Diese Pflicht hat sie 2024 bereits versäumt. Falls die BReg die JEG nicht vor der Erstellungsfrist für das KSP festlegt, entfällt die Pflicht zur Erstellung des KSP dadurch aber nicht. Vielmehr muss sie dem KSP dann vorläufige JEG zugrunde legen, die sich ohne weiteres aus § 4 Abs. 4 KSG berechnen lassen. Denn nach dem Rechtsstaatsprinzip ist die Bundesregierung an Gesetz und Recht gebunden – und die Pflicht zur Erstellung eines KSP ist im Gesetz gerade nicht daran geknüpft, ob die JEG schon vorliegen oder nicht.
Koalitionsvertrag: mehr schlecht als recht fürs Klima
Der ERK hat ebenfalls klargestellt, dass die im Koalitionsvertrag skizzierten Maßnahmen, die eine Auswirkung auf das Klima haben könnten, für eine Erreichung der Klimaziele ungeeignet ist. Vielmehr könnten einige Maßnahmen – je nach konkreter Ausgestaltung – die Zielerreichung zu 2030 und 2040 gefährden und Deutschland vom Reduktionspfad noch weiter abbringen. Da viele Formulierungen im Koalitionsvertrag sehr vage sind, geht von diesem die Gefahr aus, die Klimabilanz Deutschlands zu verschlechtern. Dies würde gegen das verfassungsrechtliche Verbot des ökologischen Rückschritts (sog. Verschlechterungsverbot) verstoßen, welches sich aus Art. 20a GG ableitet. Es ist rechtlich anerkannt, dass sich die Qualität der natürlichen Lebensgrundlagen insgesamt nicht verschlechtern darf. Dieses Verbot richtet sich an alle Staatsgewalten, gilt also auch für die Bundesregierung und Gesetzgebung. Jedenfalls die Gesamtheit der bestehenden Klimaschutzmaßnahmen darf nicht abgeschwächt werden (z.B. durch Rücknahme oder Abschwächung einzelner Maßnahmen) ohne andere Maßnahmen einzuführen, die mindestens gleich effektiv sind. Das ergibt sich aus dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und wird auch von weiten Teilen der Rechtsliteratur so gesehen, z.B. im Gutachten von Calliess/Kirchhof für die KlimaUnion. Ein Rückschritt ist nur ausnahmsweise erlaubt, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse dies nahelegen oder wenn Rechtsgüter von Verfassungsrang überwiegen. Beides ist nicht der Fall. Der Klimawandel ist wissenschaftlich erwiesenermaßen weiter vorangeschritten, und nach dem BVerfG nimmt das Gewicht des Klimaschutzes bei fortschreitendem Klimawandel immer weiter zu.
KSP muss inhaltlich nun mehr liefern als der Koalitionsvertrag
Der ERK hat in seinem Prüfbericht ausführlich – und soweit es ihm aufgrund der vagen Formulierungen möglich war – die Auswirkungen des Koalitionsvertrags auf die Zielerreichung bewertet. Klar ist: die im Koalitionsvertrag enthaltenen Maßnahmen reichen aller Voraussicht nach nicht aus, um die Klimaziele bis einschließlich 2040 zu erreichen. Genau das muss das KSP nach § 9 Abs. 1 KSG aber gewährleisten können. Die Bundesregierung ist nun verpflichtet, diese Feststellung des ERK bei der Erstellung des KSP zu berücksichtigen. Nach § 12 Abs. 5 S. 3 KSG besteht eine Berücksichtigungspflicht für Gutachten, die der ERK zur Weiterentwicklung geeigneter Klimaschutzmaßnahmen auf Basis der Projektionsdaten erstellt hat. Das bedeutet, dass sie sich mit den Darlegungen und Vorschlägen auseinandersetzen muss (BT-Drucksache 20/8290, S. 26). Insofern wird die Bundesregierung in ihrer gestalterischen und politischen Freiheit zwar nicht eingeschränkt, aber doch verpflichtet, ihren Blick auf spezifische Maßnahmen zu richten. Sie muss vorgeschlagene Maßnahmen zwar nicht übernehmen, aber diese zumindest prüfen und begründen, wenn sie dies nicht tut.
Im Prüfbericht führt der ERK zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages im Allgemeinen aus. Er schlägt keine konkreten Maßnahmen vor, sodass von der Stellungnahme eine viel offenere, weniger spezifische Wirkung ausgeht. Dennoch zeigt der Prüfbericht den Blick auf eine klare Richtung auf, nämlich über den Tellerrand des Koalitionsvertrages hinaus. Wenn die Bundesregierung aber schon verpflichtet ist, sich mit einer ganz bestimmten Maßnahme auseinanderzusetzen – in der Metapher der möglichen Wege nach Rom (d.h. zur Klimaneutralität) sich also mit einer bestimmten Abzweigung auseinandersetzen muss – dann ist die Bundesregierung erst recht verpflichtet, sich mit einer grundsätzlichen Richtung auseinanderzusetzen. Diese Richtung heißt: das im Koalitionsvertrag angelegte Maßnahmenpaket ist ungeeignet, um unsere Klimaziele zu erreichen, die Bundesregierung muss mehr liefern. Da die Bewertung des Koalitionsvertrages bereits jetzt vorliegt, müssen schon die Ministerien bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge für das KSP diese Anforderungen des ERK berücksichtigen. Sie müssen also auch Maßnahmen vorschlagen, die nicht im Koalitionsvertrag enthalten sind. Falls sie keine weiteren Maßnahmen vorschlagen, müssen sie insbesondere begründen, weshalb sie dies nicht tun.