Das OLG Hamm hat heute den Fall des peruanischen Bergführers Saúl gegen RWE entschieden, von dem wir bereits berichtet haben. Das Urteil hat eine wichtige Präzedenzwirkung.

Denn das Gericht hielt die Klage dem Grunde nach für schlüssig. Ein zivilrechtlicher Anspruch gestützt auf § 1004 BGB sei auch in der vorliegenden Konstellation anwendbar. Nach dieser Norm kann jemand, dessen Eigentum beeinträchtigt wird, von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Die Klimakrise hat mit seinen grenzüberschreitenden Auswirkungen das globale Nachbarschaftsverhältnis verdeutlicht, sodass auch ein peruanischer Kläger auf dieser Rechtsgrundlage ein deutsches, stark emittierendes Unternehmen verklagen kann. Das Gericht stellt klar, dass private Unternehmen, die eine große Menge an Treibhausgasen emittieren, prinzipiell für ihren Anteil an der Verursachung klimabedingter Schäden zivilrechtlich in die Haftung genommen werden können, wenn ein Anteil konkreter Schäden oder Risiken für Privatpersonen oder ihr Eigentum den Aktivitäten des Unternehmens zugeordnet werden kann. In dem Fall Saúl vs. RWE hat das Gericht der Klage zwar im Ergebnis nicht stattgegeben, da der Kläger in diesem speziellen Fall keine ernsthaft drohende Beeinträchtigung seines Hausgrundstücks beweisen konnte. Das Gericht folgte dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen, welches das Risiko einer von dem über dem Grundstück liegenden Gletschersee ausgehenden Flutwelle sowie einer wesentlichen Überschwemmung des klägerischen Grundstücks für nicht ausreichend hielt. Führende Wissenschaftler schätzten das Risiko aber erheblich höher ein (siehe unser Bericht). Gleichwohl sind die grundsätzlichen Feststellungen des Gerichts für andere Fälle, in denen dieser Nachweis einer Beeinträchtigung gelingen könnte, von zentraler Bedeutung. Angesichts der zunehmenden Häufigkeit und Intensität extremer Wetterereignisse sind auch in Deutschland in der Zukunft weitere Fälle zu erwarten, in denen Ansprüche gegen stark emittierende Unternehmen geltend gemacht werden.

Schon jetzt könnte das heutige Urteil Einfluss auf international laufende Verfahren haben

Weltweit sind mehr als 40 Verfahren anhängig, in denen sich Kläger*innen gegen Unternehmen richten, die einen hohen Anteil an globalen Treibhausgasemissionen verursacht haben. Mehr als die Hälfte dieser Klagen richtet sich gegen Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie. So verklagt in dem Fall Falys vs. TotalEnergies ein belgischer Rinderzüchter die französische Gesellschaft TotalEnergies. Er argumentiert, angesichts zunehmender Dürren und sintflutartiger Regenfälle hätten sich seine Erträge erheblich verringert. In einem anderen Fall – Asmania et al. vs. Holcim – geht es um vier Bewohner*innen der indonesischen Insel Pari, deren Land aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels unbewohnbar zu werden droht. Sie klagen vor einem Gericht in der Schweiz gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim.

In anderen Ländern finden sich ähnliche Regelungen wie die des § 1004 BGB im deutschen Recht. So regeln Art. 3.101 ff. Code Civil im belgischen Recht und Art. 684 ZGB im Schweizer Recht Unterlassungs- bzw. Schadensersatzansprüche im Nachbarschaftsverhältnis. Es ist zu erwarten, dass sich die Gerichte im Rahmen des Rechts- und Rechtsprechungsvergleichs an der Entscheidung des OLG Hamm orientieren. In den Fällen Falys vs. TotalEnergies sowie Asmania et al. vs. Holcim stützen sich die Kläger*innen zwar nicht auf diese Normen aus dem Nachbarschaftsrecht, sondern auf Normen, die im deutschen Recht der sogenannten „deliktischen“ Grundnorm für Schadensersatz (§ 823 BGB) entsprechen: in dem Fall gegen Total Energies auf Art. 1382 and 1383 Ancien Code Civil des belgischen Rechts und in dem Fall gegen Holcim auf Art. 28, Art. 41 ZGB des Schweizer Rechts. Jedoch sind Gerichte in der Wahl der Anspruchsgrundlage regelmäßig frei, sie sind also nicht gebunden an die Rechtsgrundlage, auf die sich die Kläger*innen in ihrer Klageschrift berufen (Iura novit curia: Art. 8.3 Code Civil für Belgien, und Art. 57 ZPO Schweiz). Daher ist es auch möglich, dass sich das belgische Gericht sowie das Schweizer Gericht in ihren Entscheidungen auf die nachbarschaftlichen Normen der Art. 3.101 ff. Code Civil im belgischen Recht und des Art. 684 ZGB im Schweizer Recht stützen.

Zudem haben die deliktischen Normen ähnliche Anspruchsvoraussetzungen wie Ansprüche aus nachbarschaftsrechtlicher Anspruchsgrundlage. Die Grundsätze des globalen Nachbarschaftsverhältnisses dürften daher auf deliktische Haftung übertragbar sein. Es ist somit möglich, dass das belgische Gericht sowie das Schweizer Gericht ebenfalls in Annahme eines globalen Nachbarschaftsverhältnisses einen Anspruch für schlüssig halten. Auch insoweit hat das Urteil des OLG Hamm eine wichtige Präzedenzwirkung.

Die im Urteil niedergelegten Grundsätze rücken damit auch Ansprüche gegen deutsche, historisch große Emittenten für bereits entstandene Klimaschäden in greifbarere Nähe. Die Voraussetzungen der Anspruchsnorm für bereits entstandene Schäden – § 823 BGB – stimmen mit denen von § 1004 BGB überein, mit dem alleinigen Unterschied, dass zusätzlich noch ein Verschulden des Emittenten nachgewiesen werden muss.

 

Weitere Informationen zu dem Fall Saúl gegen RWE unter: https://rwe.climatecase.org/de

Weitere Informationen zu weltweiten Klimaklagen: https://zerocarbon-analytics.org/archives/energy/companies-face-financial-risks-from-growing-climate-damage-litigation)

 

Vielen Dank an Rechtsreferendarin Valerie Ludwig, für die Vorbereitung und Mitarbeit an diesem Beitrag.

 

Mastodon